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Slowakei

Ostwärts zieht der Treck

Toni Sacher begleitete eine Gruppe Motorradfahrer in die weithin unbekannte Slowakei.

Passkontrolle. Ein slowakischer Grenzposten in den bäuerlichen Kleinen Karpaten stoppt unsere Fahrt im Osten der Tschechischen Republik. Unauffällig blicken die Grenzbeamten über unsere Pässe auf die Motorräder, für die sie sich insgeheim mehr zu interessieren scheinen. Eineinhalb Tage sind wir nun schon unterwegs, nachdem wir am Vortag den ehemals eisernen Vorhang passiert hatten. Von Trubel am deutsch-tschechischen Grenzübergang beim bayerischen Furth im Wald ist hier nichts zu spüren. Es gibt weder Duty-Free-Shops, noch Verkaufsbuden mit kopierter Markenware oder gar Stützpunkte des horizontalen Gewerbes. Tourguide Helmut hatte für die lange Anreise nicht die schnellste, dafür aber die landschaftlich schönere Strecke ausgesucht, um zügig vorwärtszukommen und Fahrspaß zu haben; ein Kompromiß aus schnelleren, aber überlasteten Verkehrsadern und endloser Landstraßen-Gurkerei. So ging es entlang des Böhmerwaldes über Klatovy und Pisek nach Tabor, wo wir zum ersten Mal in den Genuss der bodenständigen Küche kamen: Gulasch mit Böhmischen Knödeln gehört zum Pflichtprogramm.

Am legendären Ring von Pacov

SlowakeiWenige Kilometer später besuchten wir Schloss Kámen, am legendären Ring von Pacov gelegen. Bereits 1905 wurden hier Ausscheidungsrennen und 1906 dann das erste internationale Motorradrennen auf böhmischem Boden gefahren. In jüngerer Zeit wurde die Strecke nur noch gelegentlich für Veteranenrallyes genutzt, etwa zum 70. und 75. Jubiläum des FIM. Diese Internationale Motorradföderation wurde am 8. Juli 1904 in Pacov gegründet. In den Siebziger Jahren entschloß man sich, auf Burg Kámen ein Motorradmuseum einzurichten. Neben zahlreichen Jawas sind eine Böhmerland, Maschinen von Walter, Jelínek, Satan, Hildebrand-Wolfmüller, Laurin a Klement und einige seltene tschechische Oldtimer zu bewundern. Am meisten beeindruckte mich die CZ 125 c, mit der sich ein frisch vermähltes Ehepaar 1951 auf Weltreise wagte. Kurz hinter Jihlava umfuhren wir auf der Autobahn die weniger attraktive Industriestadt Brno (Brünn). Motorräder sind sowohl in Tschechien als auch in der Slowakei von der Vignettenpflicht befreit. Im nahen Kritiny stiegen wir in einem soliden Gasthof, der Villa Santini ab, benannt nach dem Baumeister der gegenüberliegenden, barocken Wallfahrtskirche. Beim Abendessen bot sich mir erstmals Gelegenheit, die Mitreisenden näher kennenzulernen. Es scheint so, als wäre ich da in einen BMW-Club geraten: Vorturner Helmut mit seiner R 100 GS Paris-Dakar, Dieter mit seiner R 100 R, Andi auf der R 1100 RT, Irene auf R 1100 R und Michael mit der R 1100 GS. Nur Ingrid bildet die Ausnahme mit ihrer Honda Dominator und ich natürlich mit der bereits nach wenigen Kilometern liebgewonnenen Test-Varadero. Und es sind allesamt Franken - außer mir natürlich. An den Dialekt meiner Mitreiter konnte ich mich ja im Lauf der Tour noch gewöhnen (Allmächner!) - im Gegensatz zu tschechisch und slowakisch, was so fremd klingt wie nur irgendwas und auf Landkarten und Straßenschildern so unaussprechlich aussieht. Dank Ingrid, die fließend tschechisch spricht, was auch in der Slowakei verstanden wird, ist die Kommunikation mit den Einheimischen aber kein Problem. Zudem sind Speisekarten oft mit einer deutschen Übersetzung versehen, die Schüler lernen unsere Sprache seit der politischen Öffnung als erste Fremdsprache, und auch die ältere Generation versteht vielfach Deutsch. In der Gastronomie sind auch polnisch, englisch, russisch oder türkisch verbreitet - irgendwie kommt man also immer durch.

Immer an der Váh lang

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Doch jetzt sind wir erst mal da - in einem mir fremden Land mitten in Europa. Ab Nemsova folgen wir dem Lauf der Váh (Waag). Der ohnehin schon geringe Verkehr läßt nochmals nach, und so zieht unser Pulk zügig über Zilina ins Mittelgebirgsland Malá Fatra (Kleine Fatra). Nach einem kleinen Abstecher bei Terchova durch eigenwillige Felsformationen und unberührte Natur folgen wir zunächst kleinen, kurvigen Nebenstrecken, um dann zügig auf gut ausgebauten Landstraßen über Ruzomberok weiter nach Osten vorzudringen. Dann endlich zeigen sich in der eher flachen Wald- und Wiesenlandschaft linkerhand majestätisch die Vor der Gerlachov-Spitze 2.655 m nackten Gipfel der Vysoké Tatry (Hohe Tatra). Das kleinste Hochgebirge der Welt mit Ausmaßen von gerade mal 26 Kilometer in Ost-West- und 17 Kilometer in Nord-Süd-Richtung ist seit 1949 Nationalpark. Bereits Anfang des 18. Jahrhunderts entdeckten die ersten betuchten Touristen diese malerischen Höhenzüge, nach dem Bau der Eisenbahnlinie 1871 wurde der Gebirgsstock einem breiteren Publikum zugänglich gemacht. Seitdem ist die Hohe Tatra das bedeutendste Touristengebiet der Slowakei und dementsprechend gut ist dort die Infrastruktur. Nur eine einzige Straße führt am Fuß des Gebirges entlang, die geschützte Bergwelt selbst läßt sich ausschließlich auf Wanderwegen bzw. per Seilbahn zu erkunden. Eine Gondelfahrt auf den höchsten Gipfel, die Gerlachovský stít (Gerlachspitze, 2654 Meter), entschädigt Biker mit spektakulären Aussichten auf einzigartige Steinformationen, die sich in ihrer Schönheit durchaus mit den Alpen messen können. Für vier Nächte quartieren wir uns im Hotel Smokovec in Starý Smokovec (Altschmecks) ein und genießen das Ambiente einer gewachsenen Touristenregion mit alter Tradition: Ein ruhiger Ferienort mit guten Hotels, Restaurants, Geschäften und Wechselstuben. Vielfach ist noch der Charme der Jahrhundertwende, wie im gegenüberliegenden Grand Hotel, zu spüren, und die später entstandene, typische Ostblockarchitektur fällt kaum ins Gewicht.

Wie vor 50 Jahren

Das 7-8-9-Programm funktioniert täglich minutiös, zumindest die Neun: Um sieben Uhr aufstehen, um acht Uhr frühstücken und um neun Uhr ist Abfahrt. Auf unseren Tagestouren gewinnen wir einen nachhaltigen Eindruck von der Schönheit dieses Landes. Über kopfsteinbepflasterte Ruckelstraßen geht es durch kleine Dörfer, vorbei an alten, krummen Häusern, notdürftig zusammengeflickt, aber liebevoll gepflegt. Im Vorgarten, durch einen Graben von der Straße getrennt, werden Blumen und Gemüse für den eigenen Bedarf gepflanzt. Ich nehme die ungewohnt friedliche Atmosphäre fern aller Hektik in mich auf. Wiesen und Rapsfelder blühen in der strahlenden Sonne in so unterschiedlichen Grün- und Gelbtönen, wie ich sie sonst selten so intensiv wahrgenommen habe. Wie schon in Tschechien, erinnere ich mich an Erzählungen aus der Jugend meiner Eltern und Großeltern. So muss es auch in der deutschen Provinz früher ausgesehen haben. Der Großteil der Slowakei besteht aus unkultivierter, urwüchsiger, waldreicher Landschaft, wie sie in Europa nur noch selten zu finden ist. Neben dieser Unberührtheit gibt es jedoch auch einige Industriebetriebe, die ohne die bei uns üblichen Umweltschutzauflagen wirtschaften. Auffallend sind die vielen Storchennester, die auf Strommasten, Kirchtürmen und Wohnhäusern gleichermaßen häufig zu finden sind. Es gibt keine Begradigung von Flüssen oder Waldrändern, hier wird nicht die Landschaft den Straßen, sondern die Straßen werden der Landschaft angepasst. Wir fahren in der Landschaft und nicht durch oder über. Das bedingt natürlich eine stets vorausschauende Fahrweise: Kurven können ungeahnte Verläufe nehmen, mit Rollsplit, Öl oder Schlaglöchern ist jederzeit zu rechnen, rußende Lkw tun ihr übriges. Bei Nässe ist deshalb äußerste Vorsicht geboten. An den abenteuerlichen Bahnübergängen ist nicht selten ein Herunterschalten bis in den ersten Gang angebracht. Schon allein deshalb, weil auf die Warnsignale, die übrigens ständig weiß blinken, kein hundertprozentiger Verlass ist. Im allgemeinen ist der Straßenzustand aber besser als erwartet.

Durch das Zipser Land

Slowakei Im 12. Jahrundert siedelten sich deutschstämmige Sachsen in der Ostslowakei an, nannten das Land Zips und verhalfen der Gegend zu wirtschaftlichem Aufschwung. 1919 betrug der Anteil der deutschsprachigen Die Zipser Burg, eine der größten Burganlagen Europas Bevölkerung noch 23 Prozent, das Ende des Zweiten Weltkriegs brachte die Zwangsaussiedlung mit sich. Dies erklärt auch die vielen deutschen Namen, die ich, soweit bekannt, im Text in Klammern angegeben habe. Einige typische Zipser Handelsstädte sind hervorragend erhalten oder wurden restauriert, so zum Beispiel Kezmarok (Käsmark) mit seinen Bürgerhäusern oder Levoca (Leutschau) mit dem beeindruckenden Rathaus im Renaissancestil. Unübersehbar die Landschaft dominierend ragt die Zipser Burg, eine der größten Burganlagen Europas, aus der eher flachen Umgebung heraus.

Noch 80 Kilometer bis zur Ukraine

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Rundfahrten durch den Nordosten der Slowakei führen uns in die abgelegensten Winkel. Nur rund 80 Kilometer trennen uns noch von der ukrainischen Grenze im Osten. In dieser gottverlassenen Abgeschiedenheit liegt das kleine Dorf Miková, aus dem die Eltern des berühmten Pop-Art-Künstlers und Filmregisseurs Andy Warhol (t 1987) stammen. Wenige Jahre vor seinem Tod hat er seiner Heimatstadt mehrere Originale seiner Werke geschenkt, die in einem eigens dafür eingerichteten Museum in Medzilaborce ausgestellt sind. Der Einfluß der Ruthenen, russisch-orthodoxer Siedler aus der Ukraine, zeigt sich im östlichsten Teil des Landes nicht nur in den Straßenschildern, auf denen die Ortsnamen zusätzlich in kyrillischer Schrift erscheinen. Gelegentlich trifft man auf Sakralbauten mit Zwiebeltürmen und prächtigen, farbenfrohen Verzierungen, die besonders dann auffallen, wenn sie wie in Svidník inmitten von grauen Plattenbau-Siedlungen stehen. Die Gegend wirkt genau so, wie man sich klischeehaft die Weiten Russlands vorstellt. Im Norden bildet der nahegelegene Dukla-Pass die Grenze zu Polen. Er war in den Weltkriegen hart umkämpft, in einem Museum kann man dazu die Geschichte studieren.

Slowakei
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Dunkle Holzkirchen mit ihrer eigentümlichen Architektur, wie sie in der Ostslowakei vielfach zu sehen sind, und bunt gestrichene Holz-Wohnhäuser, wie sie vor allem in Zdiar in gutem Zustand und großer Zahl noch bewohnt werden, entführen uns in eine ganz andere Welt. Eine wahre Sehenswürdigkeit ist Cervený Klástor, das Rote Kloster, im äußersten Norden der Zipser Magura gelegen. In dem alten Gemäuer an der Dunajec, dem Grenzfluß zu Polen, kann man Skulpturen und Bildwerke aus dem ehemaligen Kloster, sowie Volkstrachten und eine von Mönchen betriebene, altertümliche Apotheke bewundern.