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Tschechien

Eine Rundreise durch unser östliches Nachbarland

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1. Mai 2004: Im Rahmen der EU-Osterweiterung ist auch Tschechien in unsere unmittelbare Nähe gerückt. Natürlich macht es uns neugierig, unser nächstes östliches Nachbarland zu erleben. So machen wir uns auf zu einer Rundreise und lernen ein Land voll reizvoller Gegensätze kennen: Die herbe Landschaft der Mittelgebirge, waldreiche und grüne Regionen und den klimatisch begünstigten Süden. Eine reichhaltige Kultur, die ruhige Beschaulichkeit am Lande und besonders eine unberührte Natur mit noch vielen unbegradigten Straßen sorgen für uns Motorradfahrer für viel Fahrspaß und eigene Entdeckungen.

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Sehr viel verändert hat der EU-Beitritt Tschechiens für uns Besucher nicht: Die Passkontrolle nach der Grenze bleibt obligatorisch. Direkt nach dem Grenzübergang bieten Wechselstuben den Ankauf von Kronen an, denn auch die alte Währung ist geblieben. Und daneben sehen wir die marktschreierisch aufgebauten Buden, in denen es neben kitschigen Souveniers und T-Shirts vor allem überdimensionale Gartenzwerge zu erwerben gibt.
Wir reisen von der Oberpfalz an und fahren direkt auf den Böhmerwald zu. Schon nach wenigen Kilometern wird einem bewusst, dass man die sauber geteerten westlichen Straßen hinter sich gebracht hat. Unebenheiten und Asphaltaufbrüche tun sich auf. In einer steil abfallenden Spitzkehre begrüßen uns der kleine Bergort Klencí mit seinen farbenfrohen Häusern und bald danach die alte Grenzstadt Domazlice, die uns mit ihren bunten Giebelhäusern einen ersten Eindruck von der prächtigen Bauweise der böhmischen Städte vermittelt.
Dann wird es sehr ländlich. Entlang des Flusses Otava erreichen wir die ersten Anhöhen des Böhmerwaldes und eine Auffahrt, die richtig Laune macht. Tolle Serpentinen führen hinauf bis auf 1.200 Meter Höhe. Wir sind hier im zentralen Gebiet des Böhmerwaldes. In den oberen Lagen schlängelt sich die Landstraße die Bergkuppen empor und führt immer wieder durch tiefe Wälder, wo die Bäume dem Asphalt zum Teil ziemlich schlimmen Schaden zugefügt haben - das stört hier aber keinen: Ob Motorrad, alter Skoda oder schicker BMW: Da muss man eben drüber.
Die Landschaft nimmt geradezu alpinen Charakter an. Bauernhäuser aus dunklem Holz und mit schönen Schnitzereien säumen den Weg. Auf den Anhöhen wechseln dichte Nadelwälder mit kargen Hochebenen ab, von denen sich atemberaubende Ausblicke bis zum Bayerischen Wald bieten. Ohne dem Dröhnen unserer Motorräder ist es still und beschaulich. Also ruhig einmal stehen bleiben und die grenzenlose Ruhe genießen. Am Scheitelpunkt des Böhmerwaldes liegt der kleine Ferienort Kvilda. Unweit davon entspringt die Moldau, der bekannteste Fluss Böhmens, hier oben natürlich noch ein schmales Bächlein, dessen Lauf die Landstraße folgt. Bald erreichen wir eine weite Hochebene, wo sich das Moorgebiet "Chalupská slat´" mit dem größten Moorsee Tschechiens befindet. Ein Schotterweg führt dorthin, der aber für Fahrzeuge aller Art gesperrt ist, so dass wir uns auf Holzstegen durch das kleine Naturreservat bewegen.

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Durch die südlichen Ausläufer des Böhmerwaldes geht es nun flott weiter über die alte Salzhandelsstadt Prachatice mit ihren reizvollen, mit Sgraffito-Motiven verzierten Bürgerhäusern und über Horní Planá, der Heimatstadt des Dichters Adalbert Stifter. Und dann stehen wir am sonnendurchfluteten Lipno-Stausee, welcher die Moldau aufstaut. Der See ist ein beliebtes Erholungsgebiet. Die Straße ist gut ausgebaut und bald erreichen wir den Staudamm am Südausgang des Sees, von wo aus die Moldau in einem weiten Bogen Richtung Norden zieht und sich zunächst durch hohe Felsmassive zwängt. Und hier beginnt ein wahres Eldorado für Motorradfahrer: In vielen Kehren folgt die Straße den Flusswindungen. Man durchfährt schattige Haine und kann auf das felsige Flussbett der Moldau blicken, bis das Moldautal wieder breiter wird: Weite, gleichmäßig gebaute Kurven bieten Fahrspaß pur.
Nun säumen auch einige historische Orte unseren Weg: Die malerisch an der Moldau gelegene alte Ortschaft Rozmberk nad Vltavou mit dem majestätischen Schloss derer von Rosenberg. Und die unter Denkmalschutz stehende historische Stadt Ceský Krumlov, die sich in eine Moldauschleife schmiegt. Auch Ceské Budejovice sollte man einen Besuch abstatten. Die wegen Ihres hervorragenden Bieres weltweit bekannte Stadt ist auch kulturhistorisch interessant: Die Altstadt zieren Arkadenhäuser und der prächtige Marktplatz, der Größte dieser Art in Tschechien. Trotz der angenehmen Überschaubarkeit ist Budweis heute eine lebendige Stadt mit einem regen Nachtleben, das sich nicht selten draussen auf dem Platz oder in den vielen Musikkneipen und Gaststätten abspielt, die vor allem von jungen Leuten frequentiert werden.
Nun geht es immer weiter Richtung Osten, zur Wittingauer Seenplatte. Es wird zunehmend ebener. Grüne Wiesen wechseln ab mit kleineren und größeren Seen, dazwischen immer wieder einsame, kleine Bauerndörfer mit bunt bemalten Gehöften. Ab und an tauchen Kinder auf, die auf uns zustürmen und uns begeistert zuwinken. Vor allem die unbegradigten, von Alleen gesäumten Straßen aber, die zwischen den Seen hindurch führen, begeistern uns, laden sie doch zum relaxten Cruisen ein.
In dieser von Seen durchzogenen Landschaft sind zwei Städte interessant: Trebon, das Zentrum der Wittingauer Seenplatte, ein von trutzigen Stadtmauern umgebener Ort, in dem man bestens zubereitet die hier gezüchteten Fische kosten kann. Und das schon in Südmähren gelegene Telc, ein kulturhistorisches Kleinod ersten Ranges. Der riesige Marktplatz und die historischen Bürgerhäuser erwecken den Eindruck als sei die Zeit stehen geblieben - wir fühlen uns um Jahrhunderte zurückversetzt und lassen die Atmosphäre der guten alten Zeit auf uns einwirken, bevor wir uns an die Weiterfahrt nach Nordböhmen machen.

Uns Richtung Norden wendend durchstreifen wir die liebliche, sanft hügelige mährische Landschaft. Die Straße schlängelt sich vorbei an Feldern, Seen und kleinen Ortschaften. Auch der Autoverkehr ist immer schwächer geworden bis wir die etwas belebtere Umgebung der Hauptstadt Prag erreichen. Hier im kulturellen Zentrum liegt die alte Bergstadt Kutná Hora, im Mittelalter zweitgrößte Stadt Böhmens und zeitweise die Residenz der Böhmischen Könige, in welcher der berühmte böhmische Silbergroschen hergestellt wurde. Und etwas weiter im Norden steuern wir die von Weinbergen umgeben Stadt Melník an. Sie ist Zentrum des böhmischen Weinbaus, der auf Karl IV. zurückgeht - die Qualität insbesondere des Weißweines wird weit gerühmt. Neben dem Weinbau weist Melnik noch eine weitere geografische Besonderheit auf: Unterhalb der Stadt mündet die breite mächtige Moldau in die noch sehr schmale Elbe, die dank der Moldauwasser zu dem bekannten großen Schifffahrtsweg wird.
Bevor wir dem Elbetal folgen, entscheiden wir uns jedoch für eine Fahrt in Richtung des weniger berührten Ostens, zum "Böhmischen Paradies". Wir durchqueren eine phantastische Landschaft, in der es kaum noch Zivilisation zu geben scheint. Die schmale, mit vielen Teerflecken ausgebesserte Straße schlängelt sich hügelauf und hügelab, an kleinen Flussläufen entlang. Die dünn besiedelte Gegend wird dominiert von üppig grünen und waldreichen Hügeln. Dazwischen tauchen vereinzelte Bauernhäuser von ganz eigener Charakteristik auf. Gänzlich aus Holz erbaut, mit farbig abgesetzten Holzbalken dekoriert, bieten sie ein schmuckes Bild wie aus vergangenen Tagen. Menschen sieht man kaum. Nur hier und da können wir meist ältere Bewohner in ihren Gärten ausmachen.

Das "Böhmische Paradies" ist ein von bizarren Sandsteinformationen durchsetztes Landschaftsschutzgebiet. Die bekannteste der Felsenstädte sind die "Prachower Felsen". Ein schmaler Wanderweg führt durch diese Sandsteingebilde, durch Labyrinthe aus Türmen, Nadeln und Steinblöcken, die hochhausartige Dimensionen erreichen. Obwohl das Böhmische Paradies als Kletterparadies gilt, landschaftlich und fahrtechnisch bietet es auch dem Motorradfahrer viel. Wir wählen eine Route über kleine Straßen. Enge bewaldete Täler wechseln ab mit Hochebenen, wo zahlreiche Burgen immer wieder einen Blickfang bieten, so die Burg Valdstejn, die Burg Kost oder die auf zwei schroffen Basaltfelsen erbaute Burgruine Trosky.

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Immer abenteuerlicher werden die Straßen nun, je weiter wir uns nach Norden bewegen. Es holpert unentwegt, die Asphaltdecke ist im Laufe vieler Jahrzehnte so aufgeworfen und von Schlaglöchern durchsetzt, dass man schnell die Vorteile einer Enduro zu schätzen weiss. Der eingebaute Massageakt scheint aber allen Autofahrern gewohnt zu sein - auf dieser Strecke sind sie jedenfalls die Schnelleren und überholen mit einigem Erstaunen uns Motorradfahrer. Wir befinden uns schon im Dreiländereck, in dem die Grenzen von Deutschland, Polen und Tschechien zusammen kommen. Das Grenzgebiet ist das Nordböhmische Mittelgebirge, ein Gebirgsland, das sich durch Waldreichtum und durch merkwürdige Basalt-, Klingstein- und Sandsteinformationen auszeichnet. Eines dieser Naturphänomene ist der Herrenhausfelsen, eine gigantische, durch Basaltspaltung gebildete riesige Felsorgel, die völlig unvermittelt aus der karstigen Hochebene hervorragt.

Das gesamte Mittelgebirge ist eine sehr stille und ursprüngliche Gegend. Die Menschen gehen gelassen ihren alltäglichen Beschäftigungen nach ohne sich um politische Systeme, die Betriebsamkeit in den Industriestädten oder den touristischen Rummel in den grenznahen Gebieten zu kümmern. Dieses Traditionsbewusstsein wird auch in der Baukultur deutlich, denn sehr bewusst pflegt man noch die alte Blockbauweise. So statten wir der kleinen Ortschaft Kravare einen Besuch ab, um das Wohn- und Arbeitshaus des Gemeindeobersten aus dem Jahre 1797 zu besichtigen. Am Eingang werden wir herzlich von zwei älteren Damen empfangen. Wir werden gebeten Filzpantoffeln über unsere Motorradstiefel zu ziehen und schlurfen damit durch die Innenräume des Hauses. Mit Begeisterung und Enthusiasmus wird uns die Geschichte des Hauses erläutert, so dass ein anschauliches Bild der Lebensformen Nordböhmens vor unseren Augen lebendig wird.

Auf unserer Weiterfahrt Richtung Westen verändern sich wieder die Eindrücke. Die Landschaft wird sanfter, Ackerflächen, Obstgärten und größere Bauerndörfer künden an, dass wir uns nicht mehr weit vom Elbetal befinden, welches wir bei Litomerice mit seiner interessanten historischen Altstadt erreichen. Nur 2 km entfernt liegt Terezín. Diese Festungsstadt, welche Kaiserin Maria Theresia 1780 erbauen ließ, gelangte im Zweiten Weltkrieg zu schauriger Berühmtheit, als sie von den nationalsozialistischen deutschen Machthabern nach Vertreibung der Bevölkerung in das "Ghetto Theresienstadt" umgewandelt worden war. Der Gefängniskomplex wurde zum Sammel- und Durchgangslager der Gestapo. Von 1941 bis 1945 hat man über 150.000 Menschen hierher deportiert. Etwa 30.000 kamen durch Folterungen ums Leben. Bedauerlicherweise erlitt die sehr eindringliche Präsentation der Anlage und der sich hier abgespielten Schicksale einen großen Schaden während des Elbehochwassers im Sommer 2002, welches ebenfalls mittels Fotografien anschaulich dokumentiert ist.

Von Litomerice aus folgen wir dem Lauf der Elbe nordwärts. Im Westen erstreckt sich das größte böhmische Hopfenanbaugebiet - hier gedeiht das allseits gelobte tschechische Spitzenprodukt - und nördlich davon das nordböhmische Erzgebirge mit seinen rauchenden Schlöten, das berüchtigte Zentrum des Braunkohletagebaus. Dann verengt sich das Elbetal zunehmend, Weinhänge und kleine Ortschaften mit liebevoll angelegten, blühenden Gärten prägen das Bild, bis wir einen mächtigen Felsen erreichen, auf dem die Burgruine Schreckenstein thront. Diese Burg wurde im 14. Jahrhundert als Wachburg erbaut, von der aus die Schifffahrt auf der Elbe kontrolliert werden konnte. Noch heute hat man von der etwas zugigen Burgterrasse einen beeindruckenden Blick auf die Elbe, die an dieser Stelle durch eine 1928-36 erbaute Staustufe mit Schleusen und Kraftwerk unterbrochen wird.

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So idyllisch sich das Elbetal um die Burgruine darbietet, nur wenige Kilometer nordwärts gewinnen die Industrie und die ehemals sozialistische Wirklichkeit die Oberhand. Wir passieren Ústí nad Labem, das eine wichtige Handelsstadt auf dem Weg von Prag nach Sachsen war und sich heute vor allem durch die Lage am Ostrand des nordböhmischen Braunkohlereviers dadurch auszeichnet, der nach Hamburg größte an der Elbe gelegene Umschlagplatz zu sein. Auch das Stadtbild von Decín erinnert daran, dass dieser Ort ein bedeutender Industriestandort und wichtiger Knotenpunkt für Binnenschifffahrt, Schiene und Straße ist. Decín entstand bereits im 10. Jahrhundert aus einer Zollstation und auch uns trennen nur noch wenige Kilometer von der nahe gelegenen Grenzstation Hrensko, die sich an der engsten Stelle des Elbetales befindet, unweit des Elbsandsteingebirges, das auf deutscher Seite in die Sächsische Schweiz übergeht.